Natürliche Verhütung ist ein Missverständnis

Interview aus Biorama.64 am 09.12.19, von Irina Zelewitz

Christian Fiala beobachtet, dass Frauen durch einen oberflächlichen Diskurs über »natürliche Verhütung« eine Vorstellung von Sicherheit und Zuverlässigkeit von der Kombinationsmethode aus Selbst­beobachtung und Enthaltsamkeit bekommen, die nicht der Realität entspricht. Ein Gespräch über Illusionen von Natürlichkeit und die Gnadenlosigkeit der Natur. Über Freiheit und Verantwortung und die Unmöglichkeit, die Verantwortung für die Verhütung von der Frau an den Mann zu bringen.

Biorama: Was ist natürliche Verhütung?
Christian Fiala: Eine Illusion. Natürlich ist, dass eine Frau 35 Jahre lang schwanger wird. Verhütung bedeutet, dass sie nur so viele Kinder bekommt, wie sie möchte. Aber so funktioniert die Natur nicht. Entweder eine Frau oder ein Paar lebt die natürliche Fruchtbarkeit von 12–15 Schwangerschaften. Oder ein Paar oder eine Frau überlegt sich, wie viele Kinder sie wann wollen und verantwortungsvoll ins Leben begleiten können. Frauen müssen sich entscheiden: Entweder sie kontrollieren ihre Fruchtbarkeit oder ihre Fruchtbarkeit kontrolliert sie.

Warum wollen so viele Frauen weg von hormoneller Verhütung?
Das ist in dieser Breite ein neues Phänomen. Es sind nun 60 Jahre seit der Revolution der Einführung der Pille – die Frauen zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte die Möglichkeit gegeben hat, zu bestimmen, wann sie schwanger werden. Bis dahin hatten Frauen kaum die Möglichkeit, das zu begrenzen. In den letzten Jahrzehnten ist die natürliche Fruchtbarkeit der Frau etwas in Vergessenheit geraten – genauer gesagt das Bewusstsein der Unbarmherzigkeit der natürlichen Fruchtbarkeit. Dies hat zu einem Missverständnis darüber geführt, was natürlich ist.

Worin besteht das Missverständnis?
Da gibt es eine falsche Vorstellung von Hormonen. Hormone sind die Sprache des Körpers. Sie sind weder gut noch schlecht. Mit ihnen kommunizieren die ver­schiedenen Organe des Körpers. Wenn eine Frau ihrem Eierstock sagen möchte: »Bitte nicht jeden Monat einen Eisprung!«, dann muss sie ihm das so sagen, dass er es versteht. Und gut zureden wird nicht helfen. Hormone haben auch Neben­wirkungen. Die muss man versuchen zu vermeiden! Aber der überwiegende Teil der Frauen erlebt keine negativen Neben­wirkungen durch hormonelle Verhütung.

Das heißt, die Nebenwirkungen werden überschätzt?
Nein, sie werden nicht überschätzt, sie sind real. Aber sie werden medial etwas aufgebauscht. Und es wird suggeriert, dass jede Nebenwirkung ein Zeichen dafür ist, dass es sich um eine schlechte Verhütungsmethode handelt. Das ist ein Verhaltens­muster, das wir bei anderen Situationen im Leben so nicht haben. Dass etwas, was wir tun, auch Neben­wirkungen hat, führt meist nicht dazu, dass wir komplett damit aufhören, sondern dass wir es besser an uns anpassen. Bei Auftreten von Neben­wirkungen bei hormoneller Verhütung wäre es wichtig, auf ein anderes Präparat umzusteigen. Die Verhütungsmethode muss zur Frau passen. Wenn es Neben­wirkungen gibt: Gleich auf ein anderes Präparat wechseln! Eines, das entweder mehr oder weniger Östrogene hat – oder ein anderes Gelbkörperhormon. Es gibt eine große Anzahl verschiedener hormoneller Methoden.

Was weiß man denn über die Nebenwirkungen hormoneller Verhütung und wie kann man das greifbar machen?
Man kann die Neben­wirkungen der Pille – ich spreche von der Pille oft stellver­tretend für alle hormonellen Verhütungsmittel – gut vergleichen mit denen der Schwangerschaft. Manche Frauen sind sehr glücklich und fühlen sich wohl und sagen: Ich könnte das ganze Leben lang schwanger sein. Anderen geht es schlecht. Die Neben­wirkungen der Pille können erheblich sein, aber dann ist es meist das falsche Präparat und es wäre empfehlenswert, schnell auf ein anderes umzusteigen, statt das jahrelang auszuhalten und dann der hormonellen Verhütung abzu­schwören.

Gibt es also ein Informationsdefizit?
Ja! Es ist nach wie vor so, dass viel zu wenig Beratung vorgenommen wird durch die ÄrztInnen. Einerseits, weil das Thema Verhütung in der gynäkologischen Ausbildung viel zu kurz kommt. Andererseits zahlt in Österreich die Kasse die Verhütungs­beratung nicht. Das Argument dahinter: Es handelt sich nicht um eine Krankheit. Das ist unfassbar – und unfassbar gemein. In Deutschland hingegen sind auch die Verhütungsmittel, zumindest für junge Frauen bis zum Alter von 22, eine Kassen­leistung. In fast allen anderen Ländern Westeuropas wird Verhütung für junge Frauen und Frauen mit geringem Einkommen von der Krankenkasse bezahlt. Österreich ist das einzige, das weder Verhütung noch Abbruch bezahlt. Das ist natürlich sozial ungerecht und gesellschaftlich dumm – aus Vorsorgeperspektive und aus Genderperspektive, weil Frauen, die verhüten, haben Sex ja mit Männern. Die Kosten tragen aber die Frauen allein. Und der österreichische Gesetzgeber sagt dazu: Die Frauen sollen das halt mit ihrem Partner abrechnen.

Wie steht es um die Forschung an der »Pille für den Mann«?
Grundsätzlich ist zu sagen, dass die meisten Männer sofort die Kontrolle über ihre Spermien übernehmen würden, weil es sehr unangenehm ist, diesbezüglich von der Partnerin abhängig zu sein. Nur gibt es derzeit leider noch keine brauchbare Methode. Der letzte große Pharmakonzern, der daran gearbeitet hat, Bayer, hat sich vor einigen Jahren aus diesem Forschungsbereich zurückgezogen. Es gab hier auch Studien, die aufgrund von Neben­wirkungen beendet wurden. Die Darstellung, wie sie vor rund zwei Jahren in der »Zeit« veröffentlicht wurde, die suggeriert, Bayer hätte die Forschung eingestellt, weil die beobachteten Neben­wirkungen bei den männlichen Probanden quasi die gleichen gewesen wären wie bei Frauen, die die Pille nehmen, ist für mich absolut nicht nachvollziehbar. Denn so war es nicht, die Forschung wurde aus mehreren Gründen eingestellt, vergleichsweise (!) erhebliche Neben­wirkungen waren ein Teil davon. Aber die Forschung geht weiter. Es gibt viele engagierte WissenschaftlerInnen, die daran arbeiten.

Sind Sie nach wie vor der Meinung, dass Frauen die Verantwortung ohnehin nicht an Männer abgeben würden?
Es ist ja ein biologischer Fakt, dass Frauen schwanger werden. Früher waren Frauen von der Kooperation von Männern abhängig, es gab quasi nur den Coitus interruptus und Kondome. Mit den heutigen Methoden haben Frauen die Kontrolle über die Verhütung. Umfragen zufolge hätten Männer diese Kontrolle gerne zurück, wenn es eine vergleichbare Methode gäbe wie die, die es für Frauen gibt. Aber es gibt einfach derzeit keine reversible Methode für Männer. Es gibt Kondome. Die sind nicht sehr wirksam und nicht sehr beliebt. Letzteres ist diskussionswürdig, aber den Umstand zu negieren bringt auch nichts – außer ungewollte Schwangerschaften. Es ist leider biologisch recht schwierig: Ein Mann produziert 1000 Spermien pro Sekunde. Das ist deutlich schwieriger zu kontrollieren als ein Eisprung im Monat. Irgendwann in den nächsten Jahrzehnten wird es die Forschung geschafft haben, eine Art »Pille für den Mann« zu entwickeln. Dann werden etwa 80% beider PartnerInnen mit ihrer eigenen Methode verhüten. Denn auch in diesem Fall würden die Frauen, das geben sie auch bei jüngsten Umfragen an, natürlich mit /ihrer/ Verhütung weitermachen und sich nicht aufeinander verlassen wollen.

Für wen ist natürliche Verhütung und für wen sicher nicht?
Wenn man darunter Selbst­beobachtung versteht – also Temperatur und Mutter­mundschleim beobachten, um den Eisprung festzustellen –, dann eignet sie sich nur für Paare, die eigentlich eh ein Kind haben wollen, aber sagen, es muss nicht gleich sein. Ich sage das nicht aus ideologischen Gründen, sondern aus der Beobachtung, dass viele Frauen damit schwanger werden. Eigentlich wäre es ja schön, wenn jede Frau ihren Körper kennen würde und könnte, aber in der Realität funktioniert Selbst­beobachtung als Verhütungsmethode nicht zuverlässig.

Gibt es zuverlässige Verhütungsmittel auf Basis von Pflanzen?
Es wird immer wieder auf unterschiedliche Weise Pflanzen eine verhütende Wirkung nachgewiesen. Zum Beispiel der Yamswurzel, dem Öl von Baumwollsamen oder auch Niemöl. Und daraus werden teilweise auch Präparate hergestellt, aber ein wirksames, zuverlässiges Verhütungsmittel wurde so nicht entwickelt. Natürlichkeit und Zuverlässigkeit sind hier ein Widerspruch. Ich habe kein Interesse daran, die Pharmaindustrie zu verteidigen. Aber es ist nicht alles schwarz und weiß. Und ohne hormonelle Verhütung hätten wir alle sehr viel mehr Kinder und viel mehr Abtreibungen.
Die Fruchtbarkeit einer Frau ist eine starke Kraft. Und die Sexualität auch. Das macht es so schwierig, während 35 Jahren nur ein oder zwei Kinder zu bekommen, die die meisten Frauen wollen. Weil: Dann muss mann/frau 30 Jahre lang wirksam verhüten.

Legen Sie hier fest, ab welchem Pearl-Index eine Methode zuverlässig genannt werden darf?
Wenn fruchtbare Paare mit Kondom verhüten, passiert im Schnitt alle vier Jahre eine Schwangerschaft. Und dann können Sie sich ausrechnen, wie viel Schwangerschafts­abbrüche so entstehen. Ob man das will, muss sich jede Frau überlegen. Und die natürlichen Verhütungsmethoden sind noch weniger wirksam als Kondome. Die Erfahrung über die Wirksamkeit der verschiedenen Methoden, die ich dadurch habe, dass ich Abtreibungen durchführe, die möchte ich in der Beratung weitergeben. Was eine Frau dann macht, ist selbstverständlich ihre Entscheidung.

Wenn die Zuverlässigkeit natürlicher Verhütungsmethoden so stark von den AnwenderInnen abhängt, was interessiert einen dann der Durchschnitt – also der Pearl-Index?
Richtig! Ich bin ein begeisterter Motorradfahrer. Ich hatte noch nie einen Unfall und finde, das ist eine sehr sichere Fortbewegungsart. Man darf halt keinen Fehler machen. Das Gleiche gilt auch für Verhütung mit Kondom, und auch für natürliche Verhütungsmethoden wie Selbst­beobachtung. Wenn ein Paar, das so verhütet, sagt: »Wir haben einen kontrollierten Umgang mit Sexualität«, dann gratuliere ich den beiden und sage: Ihr habt die ideale Verhütungsmethode für euch gefunden! Die meisten Leute leben ihre Sexualität aber nicht vernunftkontrolliert und halten sich nicht ausnahmslos über Jahre strikt an bestimmte Regeln von Selbst­beobachtung und Tagen der Enthaltsamkeit. Wenn das aber nicht jedes Mal und über Jahre fehlerfrei gemacht wird, dann wird die Frau schwanger.
Öffentlich reden viele Leute über Verhütung, aber kaum jemand redet darüber, was dabei alles schiefgeht. Es gibt keine Bloggerin, die sagt: »Ich hab natürlich verhütet. Jetzt hab ich zwei Abtreibungen gehabt, ich bleib aber trotzdem dabei.« Die Irreführung findet diesmal halt nicht von der Pharmaindustrie statt, sondern eher von anderen AkteurInnen und vermutlich eher aus ideologischen Gründen. Wenn man dem öffentlichen Diskurs folgt, hat man den Eindruck, das funktioniert eh alles wunderbar. Aber die Realität sieht anders aus.

Das Interview „»Natürliche Verhütung« hält Christian Fiala, Gynäkologe und ärztlicher Leiter des Gynmed-Ambulatoriums in Wien und Salzburg, für ein Missverständnis.“ können Sie hier als PDF [85 KB] herunterladen.